An das südaustralische Sommerwetter können wir uns nur schwer gewöhnen. Hier wechseln tiefste Nachttemperaturen von 26 Grad und Tageshöchsttemperaturen von 15 Grad in kurzer Reihenfolge ab. Entweder bringt eine markante Südwestströmung kalte Luft und Regen vom Polarmeer oder heißer Nordostwind, der seinen Ursprung im Outback hat, bläst wie aus einem Fön. Heute ist einer der letztgenannten Tage. Schon zeitig erklimmt das Thermometer die 35-Grad-Marke, aber noch ist die Luft trocken. Trotzdem fallen uns die kurzen Wanderungen entlang der Great Ocean Road schwer, führt der Weg doch meist in der prallen Sonne entlang. An den Twelve Apostles drängeln wir uns durch unendlich viele Leute. Der Touristentrubel hat uns eingeholt. Unglaublich, was an einem normalen Wochentag Ende November hier los ist. Die Leute stehen Schlange, um die acht verbliebenen Felsnadeln im Meer abzulichten. Dabei gibt es in der Gegend durchaus schönere Motive.
Wenig später sind wir wieder völlig allein. Etwas abseits der großen Touristenströme liegt die Melba-Schlucht. Auf dem kleinen Areal, das zum Great Otway Nationalpark gehört, ist die ursprüngliche Vegetation erhalten geblieben. Die Luft ist mittlerweile sehr feucht. Wir stehen mitten im Regenwald zwischen riesigen Baumfarnen. Fasziniert laufen wir eine Runde durch das Tal. Die größte Attraktion im Wald soll ein mehrere hundert Jahre alter Red Gum Tree sein. Einen kleinen Wasserfall lassen wir zunächst links liegen, um den imposanten Baum zu sehen. Gespannt erklimmen wir die 150 Stufen aus der Schlucht. Oben weist ein kleines Schild auf den Umstand hin, dass der majestätische Baum im Jahr 2009 umgestürzt sei. Na gut, geschenkt, wenigstens sind die morschen Rester noch zu sehen. Später laufen wir die Treppe wieder hinunter und betrachten die kleine Stromschnelle im Bach. Da der Weg nicht weiter führt, schaut sich Jörg fragend um. In dem Moment weiß Babsi schon mehr, sie hatte nämlich am Big Tree ein Schild entdeckt, wonach der Weg von dort zurück zum Parkplatz führt. Jörg’s Begeisterung hält sich in Grenzen, muss er doch die 150 Stufen bei 33 Grad und gefühlten 90% Luftfeuchtigkeit nochmal hochklettern. Später findet die Tour bei einem eiskalten Belohnungsbierchen doch noch einen versöhnlichen Ausklang.
Am nächsten Morgen setzt Regen ein. Eine kleine Wanderung brechen wir ab, da der Sturm die Tropfen waagerecht durch die Luft peitscht. Wir entscheiden uns dafür, die Regenzeit in Melbourne zu verbringen. In der Großstadt kann man immer mal ein trockenes Fleckchen aufsuchen. Tags darauf treffen wir Anja. Sie stammt aus der Nähe von Leipzig und hat in Australien mit Emile ihre große Liebe gefunden. Beim Umzug brachte Anja ihren gesamten Weihnachtsschmuck aus Deutschland mit, und während sie am Adventskranz das erste Licht anzündet, kommt bei uns zum ersten Mal so etwas wie Weihnachtsstimmung auf. Emile steht derweil im Garten am Grill und bereitet einen übergroßen Baramundi für das Abendessen. Während des Dinners stellt sich heraus, dass Anjas Gatte beim australischen Wetterdienst beschäftigt ist. Bereitwillig gibt er über das Wettergeschehen der kommenden Tage Auskunft: Es wird regnen, sehr viel regnen.
Der Fachmann sollte Recht behalten. Als wir am nächsten Tag in Melbournes Innenstadt von Passage zu Passage springen, sind wir jedes Mal nass bis auf die Haut. Temperaturen um die 12 Grad erinnern an manch warmen Dezembertag auf dem Leipziger Weihnachtmarkt. Leider gibt es in Melbourne keinen Glühwein… Als wir am Abend zum Camp zurückkehren, hat der Wasserstand im Bach hinter unserem Übernachtungsplatz bedrohliche Ausmaße angenommen. Wir beratschlagen uns mit dem Manager der Einrichtung. Der meint, dass die starken Niederschläge im Gebirge inzwischen nachgelassen hätten und der Pegel wahrscheinlich schnell wieder sinken würde.
Am nächsten Morgen wird über das Wettergeschehen in den Nachrichten an erster Stelle berichtet. Rund um Melbourne sind in den letzten 48 Stunden stellenweise bis zu 200 Liter Wasser pro Quadratmeter gefallen. Unsere Tourenpläne für die nächsten Tage geben wir auf, zumal sich der Himmel nach wie vor im tristen Grau präsentiert. Tief über die Landkarten gebeugt studieren wir die vermeintlich befahrbaren Wege in Richtung Sydney.