My name is Jörg, meint der ältere Mann, der Jörg gegenübersteht. Meiner auch, erwidert Jörg völlig verdutzt. Babsi feixt, hat sie doch plötzlich zwei Jörgs vor sich. Der Eine begleitet sie seit mehreren Jahren durchs Leben und der andere ist Chef vom Weingut Gartelmann im Hunter Valley.
Schnell kommen wir ins Gespräch. Jörg Gartelmann stammt ursprünglich aus Bremen, ist aber schon in den 1950igern mit seinen Eltern nach Australien ausgewandert. Im früheren Leben arbeitete er als Flugzeugingenieur und Softwareentwickler mit eigener Firma. Als er Mitte fünfzig war, änderte eine schwere Krankheit sein Leben abrupt. Nach der Genesung war Jörg klar, dass es so nicht weiter gehen konnte. Er kaufte sein erstes Weingut und widmete sich fortan dem edlen Tropfen.
Unser Gespräch findet in denglischer Sprache statt. Einerseits freut sich Jörg, mal wieder deutsch zu sprechen, andererseits fallen ihm nicht mehr alle Begriffe ein – völlig verständlich nach so langer Zeit in Australien.
Zu jedem Wein, den der Fachmann kredenzt, erzählt er eine Geschichte. So erfahren wir, warum der Semillon zwischen dem 10. und 15. Januar geerntet werden muss. Dann nämlich ist, kurz bevor eine Regenperiode einsetzt, der Säure- und Zuckergehalt der Trauben optimal. Als nächstes schenkt Jörg einen 2017 Stephanie Pinot Gris ein. Während wir einen Schluck von dem leckeren Weißen nehmen, erklärt der Chef, wie die Weine zu ihren Namen kommen. Für jeden der edlen Tropfen standen die Familienmitglieder Pate. Der Pinot Gries von 2017 ist nach seiner Tochter benannt.
Als der Laden schließt, ist Jörg mit seiner Reise durch die Welt des Weines noch lange nicht am Ende. Er fragt uns, was wir am Abend vorhätten. Neben der Suche nach einem Übernachtungsplatz steht bei uns noch nichts auf dem Programm. So lädt uns Jörg kurzerhand zum Abendessen in sein Haus ein. Wenig später stehen wir in der Gartelmannschen Küche und schneiden gemeinsam Gemüse. Bei Gartelmanns lautet die Frage am Abend nicht, was es zu essen gibt, sondern welcher Wein kredenzt wird. Danach richtet sich dann die Wahl des Dinners. Jörg hat einige leckere Sorten aus dem Laden mitgebracht, unsere Weintour geht weiter. So erfahren wir mehr über das Logo der Weinguts Gartelmann. Es ist ein Macpie. Der Vogel verschmäht Weintrauben und verteidigt sein Revier gegen Tiere, die diese Früchte lieben. Während wir abwaschen, holt Jörg einen besonderen Schatz aus dem Kühlschrank, einen 2007er Ambrosia. Das Besondere an diesem Wein ist, dass die Trauben nach der Ernte künstlich schockgefrostet wurden. So entsteht der Effekt, mit dem man in Deutschland den Eiswein produziert. In Australien darf der Wein so nicht genannt werden, aber gegen den Begriff „Eiswein style“ hat niemand etwas einzuwenden. Auch beim Dessert richtet sich die Speise nach dem Wein. Zum leicht süßen Getränk kredenzt der Hausherr würzigen Käse auf Cracker – einfach lecker!
Nach einem sehr informativen Abend schlendern wir in den Garten zu unserem Wohnmobil. Man darf auf die nächsten Kreationen von Gartelmannschen Weinen sehr gespannt sein, denn Jörg steckt mit seinen fast 80 Jahren noch voller Ideen. Der andere Jörg liegt inzwischen im Bett und denkt über den Tag nach – wie sich doch manche Lebensgeschichten ähneln – Danke Jörg!