Asyl im Paradies

Fachmännisch wird der Rahmen am Nissan begutachtet.

Wir sitzen am Küchentisch bei Tom und Eva und beobachten die Vögel im Garten bei ihrem Frühstück. Noch lange bevor der Tisch für die Erwachsenen gedeckt wird, bekommen die gefiederten Freunde ihre Mahlzeit in Form von Saat und Obst. Die Tiere wissen das und kommen in Scharen. Über zwanzig Vogelarten zählen wir an diesem Morgen.
Später sind wir unterwegs nach Pretoria. Bei einem Fachmann können wir den Riss im Rahmen von unserem Nissan begutachten lassen. Tom fährt vorweg, da er den Weg zu dem Betrieb kennt. Auf der Autobahn passieren wir eine Baustelle. Die Tachonadel steht auf 95 km/h. Links fliegt ein Verkehrsschild vorbei. Darauf steht, dass man hier höchstens 60 fahren soll. Auf einem weiteren Schild darunter wird das Überholen in der Baustelle verboten. Rechts von uns brettern die Autos vorbei, da fährt keiner unter 120. Doppelt hält halt besser. Wir erleben den ganz normalen Wahnsinn in Südafrikas Hauptstadt. Jeder hat es verdammt eilig, und fährt man hier so, wie es die Schilder vorschreiben, wird man als Verkehrshindernis zur Unfallgefahr.

Henk begutachtet unseren Fahrzeugrahmen gründlich. Er vermutet, dass die Risse durch einen zu hohen Druck in der Luftfeder entstanden sind. Detailliert erläutert er uns, wie das Problem zu lösen sei: Risse schweißen, Rahmen verstärken und schließlich auch die Blattfedern verstärken, damit der Rahmen vom Druck der Luftfeder entlastet wird. Der Mann weiß, wovon er spricht, stehen doch in der Werkhalle einige große LKW mit ähnlichen Problemen. Als die Sprache auf den Zeitraum der Reparatur kommt, fällt uns fast die Kinnlade herunter. Eine Woche soll unser Nissan in der Werkstatt bleiben. Tom lächelt und meint, das sei alles kein Problem. Unsere Betten sind im Gästezimmer schon hergerichtet und das Auto in der Garage ist vollgetankt. Wir müssten uns nur noch entscheiden, ob wir mit dem Golf oder dem Toyota fahren möchten…
Wir sind gerührt über so viel Gastfreundschaft und überlegen, wie wir uns im Haus nützlich machen können. So entsteht bei der Bereitung der Mahlzeiten eine Art Arbeitsteilung, wo jeder die Zutaten für seine Lieblingsspeisen einkauft und die später zubereitet. Bei dieser Gelegenheit lernen unsere Gastgeber südafrikanischen Potjie kennen, den Babsi vorzüglich angerichtet hat.

Seit langem sitzen wir mal wieder vor einem Fernseher. Tom und Eva schauen sich das Rugby-Spiel von Südafrika gegen Frankreich an. Geduldig erklärt uns Tom die Regeln dieses Ballspiels. Südafrika gewinnt und der Hausherr ist zufrieden. Am Abend besuchen wir Monte Casino, den italienischsten Flecken in Johannesburg. Wir essen geteilte Pizzen und trinken italienischen Rotwein. Später schlendern die beiden Rugby-Mannschaften unter großen Beifall durch das italienische Dörfchen. Nach einem gelungenen Abend chauffiert uns Eva nach Hause. Wie auch oft bei uns, ist bei den Südafrikanern der Fahrdienst genau eingeteilt: Tom fährt zur Gaststätte hin und Eva zurück. Einige Tage später läuft der Fernseher erneut. Heute wird Cricket gespielt. Wieder erklärt Tom die Regeln, die etwas komplizierter scheinen als bei Rugby. Heute verliert Südafrika gegen England. Der Besuch in der Gaststätte fällt aus.

All in one - Dean wohnt in seiner Firma

Wir wollen die Zeit nutzen, um einige Vorbereitungen für unsere Verschiffung nach Australien zu treffen. So druckt uns Tom freundlicherweise einige Formulare aus, die wir ausfüllen und dann wiederum einscannen können. Dabei fällt uns auf, dass wir noch einen Aufkleber für unser Auto brauchen, der uns als „Left Hand Driver“ identifiziert. Tom meint, das trifft sich gut, auch er braucht diverse Aufkleber für seine Müllbehälter. So fahren wir gemeinsam mit ihm zu einem Plotservice, den er im Internet gefunden hat. Zunächst irren wir durch die Straße, wo das Geschäft sein soll. Ein Anruf bringt Gewissheit. Am anderen Ende meldet sich Dean und meint, dass er unseren Wagen schon sehen würde. Kurz darauf stehen wir in dem kleinen Verkaufsraum, wo drei Leute arbeiten. Auf den zweiten Blick sehen wir, dass Dean zwischen den Rechnern und dem großen Plotter auch wohnt. Im offenen Dachgeschoß stehen ein Schrank und ein Bett. Unten dient der Arbeitsraum gleichzeitig als Wohnzimmer. Am großen Küchentisch werden die Kunden empfangen und auch die fertigen Plots zugeschnitten. Die Größe der gesamten Wohnfirma beträgt rund 30 qm. Zufrieden nehmen wir nach einer halben Stunde unsere Aufkleber und staunen, was alles geht.

Wie schon bei unserem letzten Besuch in Johannesburg, lassen wir uns wieder etwas Geschichte um die Nase wehen. So besuchen wir die Farm Liliesleaf, von wo aus der ANC Anfang der 1960iger Jahre seinen Widerstand gegen die Apartheidpolitik organisiert hat. Besonders beeindruckt uns der Touristenbus eines Reiseunternehmens, mit dem damals auch Waffen nach Südafrika geschmuggelt wurden. Die nichtsahnenden Urlauber wurden später mit dieser Tatsache konfrontiert und bekamen Jahrzehnte danach noch Gänsehaut.

Wieder sind die Vögel schon satt, als wir uns an den Frühstückstisch setzen. Heute zeigt uns Eva ihre Schneeglöckchen im Garten. Die sind aus Deutschland eingeflogen, meint sie stolz. Und tatsächlich, können wir eine Blüte entdecken – es ist ja schließlich auch Winter.

Der Abschied fiel schwer, tausend Dank an unsere Gastgeber Tom und Eva.

Inzwischen hat Tom bei Henk angerufen und meint, unser Auto sei fertig. Die Woche im Paradies verging wie im Flug. Wir freuen uns über die saubere Arbeit der Werkstatt. Unser Abschied fällt auf Toms Geburtstag. Auf dem Tisch steht eine Geschenketüte. Die ist für Euch, meint das Geburtstagskind. Völlig verblüfft öffnen wir die Verpackung und entdecken zwei Schokoladen, die uns besonders gut geschmeckt hatten und eine Wärmedecke mit dem südafrikanischen Flaggenmotiv. Die Überraschung ist gelungen. Lieber Tom, liebe Eva, von dieser Stelle nochmals vielen Dank für alles. Wir freuen uns auf Euren Besuch in Deutschland und werden uns revanchieren.

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